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  • drygalla1

Heinz, Friedrich und die Sprachen der Liebe

Aktualisiert: 16. Okt. 2023



„Papa“, sagt Friedrich. Das ‚Papa‘ mit langgezogenem A am Ende. Dann folgt eine Frage: „Papa, warum hat Mama gestern geweint?“ Papa, der Heinz heißt, schließt die Augen. Atmet durch. Und versucht eine Erklärung: „Weil sie Zwiebeln geschnitten hat.“

Schon als er ansetzt weiß er, dass sie schmalbrüstig ist, seine Erklärung. Durchsichtig dazu. Glasig, wie in Butter gebratene Zwiebeln. Friedrich scheint das ähnlich zu sehen. Vermutlich. Er steht da. Weiter mit dem fragenden Ausdruck im Gesicht. Dann hebt sich langsam eine Augenbraue. Genau auf die Art, die Heinz seltsam vertraut sein würde, wenn er sich beim Sprechen sehen könnte. Da er aber nur das Gesicht im Spiegel kennt, das sich morgendlich kontrollierend oder verträumt-zähneputzend selbst in den Blick nimmt, weiß er das nicht. Heinz versucht es mit einer anderen Strategie: „Was meinst du, wollen wir später ein Eis essen?“ Friedrich wechselt von einem Standbein auf das andere: Erst auf einem Bein stehen und das andere eingeknickt, dann das eingeknickte Bein aufrichten, kurz gerade stehen, mit zwei durchgedrückten Beinen. Kerzengerade. Dann das andere einknicken. Der Körper nimmt eine gespiegelte Haltung an, alles gleich, nur die hängenden Seiten haben sich vertauscht. Im Gesicht bleibt der fragende Ausdruck stehen, unverändert, die Augenbraue senkt sich langsam.

Aber die Frage bleibt nicht nur im Gesicht, sondern schwebt auch weiter im Raum. Also, denkt Heinz, muss er noch etwas draufsetzen. Ein Sahnehäubchen auf die Ablenkung quasi. Und er ergänzt: „Ein Eis mit Schokosoße?“ Friedrich streckt wieder beide Beine gerade. Strafft sich. Schüttelt erst vorsichtig, dann deutlich den Kopf. Dreht sich um. Geht.

Heinz bleibt zurück. Seine Augen folgen Friedrich. Er schaut noch lange hinterher. Zuckt irgendwann ratlos mit den Schultern. Starrt. Ins Leere. Lange. Dann laufen ihm die Tränen.

(2022)

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